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Sammlungen sammeln

Martin Möll sammelt sowohl als Künstler als auch als Privatperson seit mehreren Jahrzehnten. Seine Art des Sammelns bedingt das Unterwegssein und treibt ihn durch den urbanen Raum als auch durch die Natur. Es ist eine teilweise fast obsessive Faszination für Spuren des Alltags, für das Entdecken in Altbekanntem, für Gebrauchtes oder Essbares und dessen Zusammentragen. Sammeln ist immer auch mit der Idee des Bewahrens verbunden und scheint zum menschlichen Grundtrieb zu gehören. Möll sammelt Übersehenes, Zurückgelassenes, Verlorenes oder Vergessenes.

Etliche der künstlerischen Arbeiten des ursprünglichen Fotografen basieren auf Sammlungen. Diese sind nicht abgeschlossen, sondern erweitern sich prozesshaft. Eine Präsentation ist jeweils eine mögliche Art, mit der Sammlung umzugehen. Dabei spielt Möll auch immer wieder mit den unterschiedlichen Methoden, die einer Sammlung zugrunde liegen können: wissenschaftliche Logiken und Klassifikationen, emotionale Interessen und künstlerische Aspekte lassen sich in seinem Repertoire finden.

Rund 400 Postkarten mit Strandansichten, vorwiegend aus den 1970er-Jahren, bilden den Ausgangspunkt der Arbeit Panorama (Blau). Die Ansichtskarten trug Möll aus Brockenhäusern zusammen. Im Rahmen des Zwischennutzungsprojektes Passage in einem ehemaligen Gewerbelokal in Solothurn im Februar 2015 bildete er daraus als erste Präsentation ein 14 m langes fiktives Panorama, das er im Raum ums Eck installierte und das durch die Architektur mehrmals unterbrochen wurde.

Der Künstler kombinierte in der Anordnung Horizonte, Strände, Bergketten und Gewässer mit passenden Übergängen zu neuen Landschaften – Buchten werden zu Seen oder zum offenen Meer und es ergeben sich Flussarme. Möll interessierte dabei, dass durch ihn eine Veränderung herbeigeführt wird.

Während einer Atelierresidenz 2007 in Paris fotografierte der Künstler alle auf der Strasse stehenden Matratzen, an denen er auf seinen Stadtwanderungen vorbeikam. Anschliessend ordnete er die Fotos für die Arbeit C’est pourtant si facile de commander un meilleur matelas nach Kriterien der Form (gerollt), der Verarbeitung (Art der Nähte) oder der Weiterverwendung (Besitz von Obdachlosen). Dies ist die Vorgeschichte für eine weitere Sammlung: Seit 2008 sammelt Möll liegengebliebene Handschuhe, die er am Strassenrand, im öffentlichen Verkehr oder in der Natur findet. Er versteht den Handschuh als Spur des Lebens. Dieser ist das einzige Kleidungsstück, das einen Teil des menschlichen Körpers abbildet, ohne getragen werden zu müssen.

In die Sammlung aufgenommen werden nur diejenigen Handschuhe, die vom Künstler selber gefunden werden und dies ausschliesslich auf dem Boden der Gemeinde Bern. Das Finden passiert im Alltag, im urbanen Raum auf dem Weg zum Zug oder zur Arbeit sowie in der Natur beim Pilze sammeln. Jeder Handschuh wird mit einem Etikett versehen, auf dem Fundort und -datum vermerkt sind. Um die Spuren des Gebrauchs und des Verloren-Seins zu bewahren, wäscht Möll seine Fundstücke nicht. Der Geruch verleiht diesen eine zusätzliche Dimension.

Die Handschuh-Sammlung nutzt Möll immer wieder anders als Baumaterial für Installationen, um daraus etwas Neues entstehen zu lassen. Je nachdem ist der einzelne Handschuh von Bedeutung oder nicht.

Im Palazzo Wyler 2012 in Bern glich die Sammlung einer wissenschaftlichen Präsentation: Nüchtern nach Farben geordnet und mit dem Etikett sichtbar bekam der einzelne Handschuh Gewicht. In der CabaneB 2014 in Bümpliz war die Installation der Handschuhe raumspezifisch. Aus der Sammlung wurde eine Auswahl getroffen, nur die schwarzen, grauen und weissen Handwärmer wurden vom Künstler verwendet. Indem Möll diese um das grosse runde Fenster drapierte, baute er damit ein Bild. Gegen das Zentrum hin waren die helleren Handschuhe angeordnet. Dadurch entstand die Illusion eines Tageslichtschimmers. Assoziationen zu einem gezeichneten Comic-Auge oder eines Höhleneingangs wurden geweckt.

In Solothurn empfand Möll mit den Handschuhen Elemente aus den Postkarten der Strandansichten wie Sonnenschirme, Badehosen, Badetücher oder Schwimmringe nach. Diese nannte er Strandszenen. Denn auch Handschuhe sind potenzielles Strandgut. Desweiter baute er aus den Handschuhen Felselemente mit blühenden Blumen und kombinierte diese zu einer abstrakten, expressionistischen eigenen Landschaft.

Der seit drei Jahren wichtigste Sammlungsgegenstand für Möll sind die Pilze. Er sagt, dass er seither keine innere Notwendigkeit mehr zur künstlerischen Auseinandersetzung verspüre – das Pilzsammeln hat Überhand genommen. Während allen Jahreszeiten treibt es ihn zeit- und raumvergessen in die Wälder und Berge, an Flussufer und in Wiesenlandschaften. Auf der Suche nach dem Steinpilz, der Morchel, der Gelben Kraterelle, dem Hexenröhrling, des Judasohres oder des Maipilzes streunt er tagelang durch die Natur, den Blick im scannenden Mikromodus und penibel die Koordinaten der ergiebigen Fundplätze in der Landkarte eintragend.

In letzter Zeit mehren sich die Versuche, seine Pilzsucht mit seinem Kunstschaffen zu verbinden und seine Auseinandersetzung mit der Welt der Pilze in künstlerische Prozesse einzubinden oder zu übersetzen. Es erstaunt nicht, dass dies dem Flaneur Möll gelingt, bezeichnet er das Herumstreunen und den Blick gleiten lassen doch als seine ideale Arbeitsweise. Entstanden sind schwarzweisse Fotografien, in denen ein weisser Faden ein Labyrinth zwischen den Baumstämmen spannt und so die Suchwege des Künstlers abbildet. Oder eine Fotoserie, in denen Möll am Ende des Tages seine Funde zu einem Kopf drapiert, sich selber mit Pilzen im Gesicht porträtiert oder er Modeaufnahmen in Gratiszeitschriften mit Pilzen collagiert.

Es lassen sich auch kunsthistorische Referenzen finden: Sei es durch die Versuche, Richard Longs Landschaftsintervention A line made by walking (1967) mit seinen eigenen, gegangenen Wegen zu interpretieren, oder der Idee, diese mit einer Linie aus Pilzen nachzuverfolgen. Oder dem Erfinden utopischer Pilzsorten durch das Verfahren der Cadavre exquis, der von den Surrealisten erfundenen spielerischen Methode, um Bilder durch Zufall entstehen zu lassen.

Das wohl momentan am konsequentesten verfolgte Projekt des „Mushroom Man“ im Zusammenhang mit den Pilzen, ist aber seine Band The Fungi Kingdom. Als Sänger schreibt er die Liedtexte und eines der Bandmitglieder komponiert dazu die Musik. Es sind romantische Schilderungen von Pilzexkursionen oder Oden an den „King Bolete“, die in Konzertperformances dem Publikum präsentiert werden.

Ba Berger